Mittwoch, 4. April 2018

Geschwister-Konkurrenz

Psychologisch betrachtet ist es völlig normal, dass Geschwister unterschiedliche Talente besitzen und Fähigkeiten ausprägen. Nicht zuletzt wird mit diesen verschiedenen Begabungen um die Gunst der Eltern geworben. Und wenn auch Konkurrenzverhalten, Neid und Missgunst in geschwisterlicher Harmonie keiner so recht wahrhaben möchte, so sind sie doch ziemlich häufig anzutreffen. 

Die gestalttherapeutisch-systemische Therapie, die ihren Blick auf Organisationseinheiten wie etwa die Familie richtet, kennt diese Fälle, in denen erst nach dem Tod der Geschwister sich deren Kinder sagen können, was sich ihre Eltern als Bruder und Schwester nicht sagen konnten. 

Als ich nach dem Tod meines Onkels erfuhr, wie sehr er meinen mittlerweile auch verstorbenen Vater beneidet hatte, hatte ich sogleich wieder die von Kindesbeinen an gehörten Sätze meines Vaters über den Onkel im Ohr, den auch er seinerseits immer beneidet hatte. Sie konnten beide eventuell nicht sehen, was sich der andere persönlich erkämpft und auch geopfert hatte für seine Ziele in seinem Leben. Und keiner hatte dem anderen die Würdigung für seinen eigenen Lebensweg ausgesprochen. Ganz abgesehen davon, dass die beiden, hätten sie ihre Fähigkeiten gemixt, ein ziemlich unschlagbares Team geworden wären. 

In völlig anderem Kontext las ich gestern den Satz: Wahrnehmung des eigenen Selbst und das In-den-Blick-Nehmen des anderen ermöglicht stimmige Kommunikation und Begegnung. – Doch wie schwer das ist, wenn die Sicht verengt ist, weil man glaubt, der andere hatte es leichter, besser getroffen oder wurde bevorzugt. Und man selbst hat es so schwer, einem wurde nichts geschenkt. Der Blick nur in den eigenen Mangel hat noch in den seltensten Fällen zu Fraternität und Einigkeit geführt. 

Gelingt es mir, meine eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen, kann ich auch den anderen vielleicht deutlicher wahrnehmen und ihn letztlich in seinem So-Sein anerkennen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen