Aber zurück zu den Kalendern. Oft
werden die ersten Tage noch voller Freude erwartet, die ersten Türchen werden
mit Spannung geöffnet, aber ab Tag 12 oder 13 beginnt es, nicht mehr ganz so zu
faszinieren. Weihnachtsfeste und Arbeit lenken ab und so stauen sich schon mal
Türchen 17 bis 20, Türchen 9 hatte man ganz vergessen zu öffnen. Also Adventszeit.
Die Zeit des Wartens. Zeit der Besinnung. Zeit der Besinnung auf was?
Wie wäre es, wenn wir uns diesen Winter „wahrnehmungsbereiter und
kontaktbeherzter“ machen?
Ich glaube der meist gehörte Satz
in meiner gestalttherapeutischen Arbeit ist: Das kann man nicht machen! Wer auch immer hier mit „man“ gemeint
ist. Und: Das könnte ich nicht! Dabei
ist erstaunlich, dass dieses „das könnte ich nicht“ sehr variiert: Die Schwiegermutter
wieder anrufen. Die Freundin um Verzeihung bitten. Die Stelle kündigen und sich
mehr zutrauen. Durch Litauen mit dem Fahrrad fahren. Oft schnappen sich
Menschen hier ganz große Themen: Das könnte ich nicht, mit traumatisierten
Menschen arbeiten. Das könnte ich nicht, mit den Flüchtlingen Kontakt
aufnehmen. Was hier hemmt, ist in vielen Fällen aber die Vorstellung, etwas
richtig zu machen oder gut oder perfekt. Der soziale Anspruch ist sehr hoch. Und
die einen Dinge kann man wagen, andere muss man evtl. nicht tun. Vielleicht bin
ich einfach nicht der Typ, der mit der Blockflöte Lieder spielt und mit
demenzerkrankten Menschen musiziert. Eventuell kann ich aber der Nachbarin, die
sich genau darin tagein und tagaus bemüht, sagen wie bewundernswert ich ihre
Arbeit finde.
Was kann passieren? Ich kann der Schwiegermutter Blumen schicken
oder es weiter in meinem Kopf rumoren lassen. Das schlechte Gewissen
drangsaliert mich weiter oder ich treffe die Freundin zur Versöhnung zu Kuchen
und Kaffee. Ich kann Kontakt unternehmen und etwas tun, dass ich selber vielleicht
ver-rückt finde und damit die Situation in ein neues Licht ver-rücken. Und das
ist für mich das Thema der Weihnachtszeit, ja ihre Botschaft. Menschen gehen in
Kontakt. Und gar nicht immer so, wie vermutet. Nicht das planbare, erwartete
passiert. Nein, es ist kein Hotel frei, die Herberge ist dicht. Man improvisiert.
Vielleicht experimentieren wir in diesen Tagen ein bisschen mit Begegnung.
Wer in großen Familien lebt, wird ohnehin spätestens an Weihnachten sehr viele
sehr unterschiedliche Verbindungen, Zusammentreffen und Tuchfühlungen bekommen.
Da wird alles drin sein zwischen: Schwesterchen,
dick biste geworden! bis herzliche Knuffe und auch unangenehme Begegnungen,
die jedes Jahr wieder einen gallig-seifigen Nachgeschmack hinterlassen.
Vielleicht gibt’s ein paar offene Geschäfte. Kontakte, die nicht ganz so rund
laufen, wo einer stur ist – oder beide. Oder Menschen, denen man schlicht dies
und jenes nicht verzeihen kann oder will. Da gibt’s dann ein Nein zu
Miteinander und Kontakt.
Vielleicht wollen wir uns selbst mehr begegnen, in den nächsten Tagen.
Oder aber wollen Fremden, Nachbarn,
Kollegen interessierter und wacher gegenüberstehen. Vielleicht riskieren wir
Kontaktangebote oder aber schlagen sie nicht aus, weil wir zu gestresst sind, zu
wenig Zeit haben. Vielleicht hören wir zu, statt zu denken: Der ist sowieso zu
jung, was weiß der schon. Oder: Die ist doch so alt, das war früher eh alles anders.
Und sie merken es schon. Das kann man fortführen: Der hat so viel Geld, der
kennt meine Probleme nicht. Oder: In deren Religion versteht man das nicht. In
der Gestalttherapie legt man keine Krankheitsbilder fest oder gibt ihnen Namen.
Es gibt lediglich die Unterteilung in glückenden oder verpassten,
unterbrochenen Kontakt. Das ist alles und alles ist das.
Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten denn je miteinander zu
kommunizieren. Aber begegnen wir uns auch? Was schließt uns ein? Was
öffnet?
Mir fällt auf, dass ich hier oft
„vielleicht“ geschrieben habe. Aber vielleicht ist es genauso. Es ist viel und
es darf auch leicht sein. Sich selbst und anderen begegnen, das klingt leicht –
aber das ist Wagnis und Mut. Wir können experimentieren und wir dürfen
scheitern. Hängen wir unseren Anspruch nicht zu hoch. Meine erste
Improvisationstheatergruppe hatte das Motto: Schöner Scheitern! Begreifen wir
das Scheitern nicht als Niederlage. Sondern sehen im Scheitern etwas, das neue
Türen öffnet und ungewöhnliche andere Erfahrungen ermöglicht.
Fürchtet Euch nicht! ist die Weihnachtsbotschaft, denn wie sagt es
Martin Buber „alles wirkliche Leben ist
Begegnung“ und die einzige Möglichkeit nie zu scheitern ist nichts zu
versuchen.
Ich wünsche Ihnen erfrischende
und belebende, stärkende und kräftige, lebhafte und muntere Kontakte mit sich
selbst, anderen Menschen, der Natur…. Lassen Sie sich überraschen vom Leben und
Begegnungen, denn etwas Neues wartet ja immer bereits auf uns, wenn wir dafür
bereit sind.
Weiterhin eine frohe Adventszeit und frohe Feiertage!
Begegnungen
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