Donnerstag, 15. Dezember 2016

Weihnachtszeit, Adventskalender und Begegnungen

Wenn ich an die Adventskalender denke, die bisher mein Leben begleitet haben, dann fallen mir all die Schokoladenadventskalender ein, mit hinterlegten bunten Bildern. Meistens hatten meine älteren Schwestern schon ein paar Türchen weggenascht und ich fand die immer gleiche Schogetten-Form ins Türchen reingequetscht, wo sonst das Kätzchen, die Maus oder die Zipfelmütze gesteckt hätten. Nun, dafür hat man auch Geschwister. Man lernt, nicht nachtragend zu sein. Spätestens dann, wenn sie über einem knien und die Spucke in ihrem Mund einem gefährlich nahe entgegentropft. Begegnungen.
Aber zurück zu den Kalendern. Oft werden die ersten Tage noch voller Freude erwartet, die ersten Türchen werden mit Spannung geöffnet, aber ab Tag 12 oder 13 beginnt es, nicht mehr ganz so zu faszinieren. Weihnachtsfeste und Arbeit lenken ab und so stauen sich schon mal Türchen 17 bis 20, Türchen 9 hatte man ganz vergessen zu öffnen. Also Adventszeit. Die Zeit des Wartens. Zeit der Besinnung. Zeit der Besinnung auf was?
Wie wäre es, wenn wir uns diesen Winter „wahrnehmungsbereiter und kontaktbeherzter“ machen?
Ich glaube der meist gehörte Satz in meiner gestalttherapeutischen Arbeit ist: Das kann man nicht machen! Wer auch immer hier mit „man“ gemeint ist. Und: Das könnte ich nicht! Dabei ist erstaunlich, dass dieses „das könnte ich nicht“ sehr variiert: Die Schwiegermutter wieder anrufen. Die Freundin um Verzeihung bitten. Die Stelle kündigen und sich mehr zutrauen. Durch Litauen mit dem Fahrrad fahren. Oft schnappen sich Menschen hier ganz große Themen: Das könnte ich nicht, mit traumatisierten Menschen arbeiten. Das könnte ich nicht, mit den Flüchtlingen Kontakt aufnehmen. Was hier hemmt, ist in vielen Fällen aber die Vorstellung, etwas richtig zu machen oder gut oder perfekt. Der soziale Anspruch ist sehr hoch. Und die einen Dinge kann man wagen, andere muss man evtl. nicht tun. Vielleicht bin ich einfach nicht der Typ, der mit der Blockflöte Lieder spielt und mit demenzerkrankten Menschen musiziert. Eventuell kann ich aber der Nachbarin, die sich genau darin tagein und tagaus bemüht, sagen wie bewundernswert ich ihre Arbeit finde.
Was kann passieren? Ich kann der Schwiegermutter Blumen schicken oder es weiter in meinem Kopf rumoren lassen. Das schlechte Gewissen drangsaliert mich weiter oder ich treffe die Freundin zur Versöhnung zu Kuchen und Kaffee. Ich kann Kontakt unternehmen und etwas tun, dass ich selber vielleicht ver-rückt finde und damit die Situation in ein neues Licht ver-rücken. Und das ist für mich das Thema der Weihnachtszeit, ja ihre Botschaft. Menschen gehen in Kontakt. Und gar nicht immer so, wie vermutet. Nicht das planbare, erwartete passiert. Nein, es ist kein Hotel frei, die Herberge ist dicht. Man improvisiert.
Vielleicht experimentieren wir in diesen Tagen ein bisschen mit Begegnung. Wer in großen Familien lebt, wird ohnehin spätestens an Weihnachten sehr viele sehr unterschiedliche Verbindungen, Zusammentreffen und Tuchfühlungen bekommen. Da wird alles drin sein zwischen: Schwesterchen, dick biste geworden! bis herzliche Knuffe und auch unangenehme Begegnungen, die jedes Jahr wieder einen gallig-seifigen Nachgeschmack hinterlassen. Vielleicht gibt’s ein paar offene Geschäfte. Kontakte, die nicht ganz so rund laufen, wo einer stur ist – oder beide. Oder Menschen, denen man schlicht dies und jenes nicht verzeihen kann oder will. Da gibt’s dann ein Nein zu Miteinander und Kontakt.
Vielleicht wollen wir uns selbst mehr begegnen, in den nächsten Tagen.  Oder aber wollen Fremden, Nachbarn, Kollegen interessierter und wacher gegenüberstehen. Vielleicht riskieren wir Kontaktangebote oder aber schlagen sie nicht aus, weil wir zu gestresst sind, zu wenig Zeit haben. Vielleicht hören wir zu, statt zu denken: Der ist sowieso zu jung, was weiß der schon. Oder: Die ist doch so alt, das war früher eh alles anders. Und sie merken es schon. Das kann man fortführen: Der hat so viel Geld, der kennt meine Probleme nicht. Oder: In deren Religion versteht man das nicht. In der Gestalttherapie legt man keine Krankheitsbilder fest oder gibt ihnen Namen. Es gibt lediglich die Unterteilung in glückenden oder verpassten, unterbrochenen Kontakt. Das ist alles und alles ist das.
Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten denn je miteinander zu kommunizieren. Aber begegnen wir uns auch? Was schließt uns ein? Was öffnet?
Mir fällt auf, dass ich hier oft „vielleicht“ geschrieben habe. Aber vielleicht ist es genauso. Es ist viel und es darf auch leicht sein. Sich selbst und anderen begegnen, das klingt leicht – aber das ist Wagnis und Mut. Wir können experimentieren und wir dürfen scheitern. Hängen wir unseren Anspruch nicht zu hoch. Meine erste Improvisationstheatergruppe hatte das Motto: Schöner Scheitern! Begreifen wir das Scheitern nicht als Niederlage. Sondern sehen im Scheitern etwas, das neue Türen öffnet und ungewöhnliche andere Erfahrungen ermöglicht.
Fürchtet Euch nicht! ist die Weihnachtsbotschaft, denn wie sagt es Martin Buber „alles wirkliche Leben ist Begegnung“ und die einzige Möglichkeit nie zu scheitern ist nichts zu versuchen.
Ich wünsche Ihnen erfrischende und belebende, stärkende und kräftige, lebhafte und muntere Kontakte mit sich selbst, anderen Menschen, der Natur…. Lassen Sie sich überraschen vom Leben und Begegnungen, denn etwas Neues wartet ja immer bereits auf uns, wenn wir dafür bereit sind.
Weiterhin eine frohe Adventszeit und frohe Feiertage!

Begegnungen

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